Möglichkeiten

Über den Klimawandel wollte ich schreiben, vom Anblick verdorrender Bäume, brennender Wälder und braungelber Wiesen. Von der weiß glühenden Nachmittagssonne, die Träume von Regen weckt und Sehnsucht nach kühlen Wassertropfen auf heißem Asphalt.

Von Baumhäusern und vom Sterben im umkämpften Forst.
Oder von Düsterland, von der Grimasse des Faschismus, von dem verbotenen Gruß und dem Geruch nach viel zu vielen Toden.

Von Menschen, die sich unsichtbar fühlen, ungesehen, die, verstört vom Wandel ihres Lebensraumes, dem Zischeln brauner Schlangen lauschen und den alten Parolen glauben. Jene, die Schuld beim Fremden suchen, der nicht in ihrer Mitte wurzelt.

Blut und Boden
Blut und
Blut

Schreiben über die Anderen.
Die, die ihre Heimat verlassen, mit einem Rucksack und einem Smartphone voller Fotos von vertrauten Räumen und Gesichtern.
Eine zerbrechliche Schnur zwischen Herz und Heimat.
Bewahrer der Vergangenheit und Navigator in die Zukunft.

So groß die Verlorenheit, wenn die Schnur zerreißt.
Heimat.
Nicht nur Ort,
auch Erinnerung an gelebtes Leben,
auch Glaube an eine bessere Gegenwart.

Marode Boote. Der Todesbiss des Meeres.
Das Salz der Tränen, das sich mit dem Salz des Ozeans vereint.
Träume vom Ankommen.
Vom Erreichen des sicheren Ufers.
Sicher?

Wollte erzählen von den Bildern.
Immer wieder Bilder.
Eine Bilderflut, die den Atem raubt.
Zeitung. TV. Internet.
Bilder
Bilder
Bilder
Menschengesichter. Verzweiflung. Sorge. Angst.

Sekundenlang flackert Hoffnung im Klang eines Kinderlachens über schlammigem Grund.

Ach, warum nicht erzählen von einem Mann, der am Fenster steht?
Im Haus gegenüber auf dem Balkon sitzt eine Frau, ein Buch in der Hand, liest und lächelt dabei.
Ihr rotes Kleid leuchtet im Licht.
Ihre Haut ist dunkel, die Augen schokoladenbraun.
Vielleicht schaut sie auf,
Vielleicht sieht sie den Mann.
Vielleicht sehen sie sich an.

Eine Brücke aus Blicken.
Behutsam.
Eine Welt im Entstehen.
Die Möglichkeit von Liebe.

© gabriele auth

 

 

 

Woanders

Wollte zum Abschied ein Lied für dich schreiben, ganz in Moll, nur in der Mitte heimlich einen Dur-Akkord. Verdammt, ich kann doch keine Noten und spiel kein Instrument. Du siehst, du solltest besser bleiben. Und außerdem ist Abschied nicht mein Element. Schon klar, damit bist du nicht zu erweichen. Vielleicht lern ich noch schnell Posaune, Akkordeon oder Klavier? Noch besser wär’ Gitarre. Ja. Drei bis vier Akkorde sollten reichen. Die merk ich mir und ging zum Terminal. Da würd’ ich singen, laut, falsch und ganz besonders schrill. Alle Leute würden’s hören und wissen, dass hier Einer ist, der weg geh’n will.  Ich würde ungeheuer peinlich sein. Schlimmer als bei Wahrheit oder Pflicht. Und weil kein Baum da wär, würde ich irgendwas erklimmen. Vielleicht eine Laterne. So genau weiß ich es gerade nicht. Verstörend dissonant ließ ich die Finger über Saiten holpern und stimmte alte Schlager an, Vicky Leandros, Udo Jürgens, vielleicht auch Freddy Quinn. Es gibt keine Laternen dort? Egal, ich würde trotzdem durch die Töne stolpern und du könntest nicht weg, weil du am Check-In  anstehst für den Flug nach Nirgendwo. Mal ehrlich, wer außer dir will denn da hin?
Du würdest dich noch umdreh’n, zu mir sagen: „Hör auf, mit dem Geheule, das ist so grottenschlecht, dass man am liebsten auf der Stelle sterben will“.  Und ich würd’ rufen: „Das geschieht dir recht. Bleib bloß nicht stehn. Geh weiter. Einfach weiter. Los hau schon ab. Ich will dich weg gehen sehn“.
Dann lachtest du, sähst mich an und sagtest: „Machs gut. Es war nicht schlimm mit dir.“
Ich würde schweigen. Und wenn du weg wärst, würde ich so tun, als ob ein Staubkorn mir ins Auge flog, würd drüber lachen…..ach, und überhaupt, du wärst ja gar nicht weg. Wärst nur Woanders. Das ist die Wahrheit.
Aber auch ein kleiner Selbstbetrug.

Selbstauskunft

Versuch in Slam Poetry.

 

Ich bin ein Frosch, doch nicht grün hinter den Ohren. Nicht unschuldig, hab dennoch das Naive nicht verloren. Sozialromantikerin par Excellence, aber denk nicht, dass du mir was vormachen kannst. Ich seh lieb aus, doch leg dich bloß nicht mit mir an. Ich bin kühl, chaotisch, neurotisch und bissig, aber voll Gefühl. Zwischen Gutmensch und böser Fee bin ich ein Ping Pong Ball, zwischen weinen und lachen und ach verdammt. Ich weiß es nicht. Ich hab wahrscheinlich einen Knall.

Ich bin die, die ich bin
wer das ist, willst du wissen?
Selbst, wenn ich es dir sage, wirst du
dein eigenes Bild von mir malen,
deine eigene Fahne auf mir hissen.

Bin Feministin, finde Frauen oft doof und kann Ismen nicht leiden. Bin spontan, aber kann mich meistens nicht entscheiden. Steh auf Sanftheit und Liebe, doch brüll zurück, wenn einer mir blöd kommt. Will geben und auch nehmen. Gehalten sein, nicht gefangen. Bin laut aber liebe das Leise, zwischen reden und schweigen, lachen und weinen will ich alles. Will nicht nur zehn Prozent, sondern hundert Prozent Leben. In voller Fahrt auf meine eigene Weise.

Ich bin die, die ich bin
wer das ist, willst du wissen?
Selbst, wenn ich es dir sage, wirst du
dein eigenes Bild von mir malen,
deine eigene Fahne auf mir hissen.

Ich bin die Leinwand für deine Projektion, für Missgunst, Neid, die Sehnsucht nach dem Vater oder Sohn, die du zu selten siehst, und dann nutzt du als Ventil deinen Hass und die Lust, mich kleinzumachen. Greif zu. Nimm, was du brauchst und filz aus bunter Wolle dir dein eigenes Bild von mir. Ein wuscheliges Feindbild hübsch verziert nach deiner Facon. Ich weiß genau, das ist für dich nicht schwer. Glaub mir, ich würde lachen, wenn’s nicht so traurig wär’.

Ich bin die, die ich bin
wer das ist, willst du wissen?
Selbst, wenn ich es dir sage, wirst du
dein eigenes Bild von mir malen,
deine eigene Fahne auf mir hissen.

Ich bin eine Sammlung von Facetten. Für den Satz dank ich meinem Sohn, ein Künstler und Wortakrobat. Danke auch für seinen Freigeist, ein besserer Lohn für mich, als der verdammte Muttertag. Und seinen Schwestern dank ich für den Humor und für ihr Lachen, das mich wärmt und mir behagt, wenn mir der Hagel ins Gesicht fegt oder Zweifel an mir nagt. Ach und der eine, der große Kleine, auch ein Klangartist und ein Reimer,  ein Sohn, aber nicht meiner. Dem danke ich für seine frohe Kraft und seinen Sonnenmut. Wie seinem Vater. So weit so gut.

Ich bin die, die ich bin
wer das ist, willst du wissen?
Selbst, wenn ich es dir sage, wirst du
dein eigenes Bild von mir malen,
deine eigene Fahne auf mir hissen.

Bin Familienmensch, ich lieb sie alle, doch will ständig meine Ruh, um statt zu chillen, nur zu wuseln, konfuses Zeug zu denken und den Wald vor Bäumen nicht zu sehen. Bin oft beschränkt und kann mich nicht beschränken. Bin schüchtern, linkisch, maulfaul, soll öffentlich ich sprechen, doch hör nicht auf zu quasseln, nehm den Mund zu voll, wenn einer wirklich mit mir redet über das Leben, über den Tod. Den Sinn und alles das dazwischen. Wenn wir dem Schicksal ein paar Stunden aus der Tasche klauen. Für Momente denken, wir könnten ihm entwischen, uns dann trennen und wieder eigene Wege gehen bis auf ein nächstes Mal, oder uns niemals wiedersehen.

Ich bin die, die ich bin
wer das ist, willst du wissen?
Selbst, wenn ich es dir sage, wirst du
dein eigenes Bild von mir malen,
deine eigene Fahne auf mir hissen.

Hippie-Else hat jemand mal zu mir gesagt. Was solls, ich steh dazu, dass ich hennarote Haare und bunte Freundschaftsbändchen mag. Trag trotzdem meistens schwarz und grau. Du schimpfst mich Gutmensch, ich nenn mich fair. Es geht nicht um Klamotten, es geht um unser Wesen, deins und meins, ums Leben, um Bewusstsein, Liebe und noch mehr den Flow, der unsere Herzen tanzen lässt. Um alle für einen, und dass man da ist und versteht, wenn sich jemand in sich selbst verirrt. Nenn mich ruhig irre, lach mich aus. Ich bleib bei mir und lache mit, bin gern verrückt und stolz darauf.

Ich bin die, die ich bin
wer das ist, willst du wissen?
Selbst, wenn ich es dir sage, wirst du
dein eigenes Bild von mir malen,
deine eigene Fahne auf mir hissen.

Wirke oft ungerührt, arrogant und unantastbar, bin aber bloß scheu. Und wer mich wirklich berührt, den werd ich nicht verlassen. Bleibe treu, selbst wenn du gehst. Bin lautlos noch bei dir, egal wohin der Wind dich weht und nenn dich Freundin oder Freund. Es sind nur wenige, die diesen Namen tragen. Obwohl ich manchmal in der Menge bade, scheint Berührung ein rares Phänomen. Genug. Die Reihe ist an dir, die Schubladen zu öffnen. Ich sitz in allen und pass in keine. Bin Freundin, Feindbild, Mutter, Frau. Ein Biest. Einfach ein Vogel, der vorüber fliegt und leise seine Krallen über deine Kopfhaut zieht.

Ich bin die, die ich bin
wer das ist, willst du wissen?
Selbst, wenn ich es dir sage, wirst du
dein eigenes Bild von mir malen,
deine eigene Fahne auf mir hissen.