Es heißt niemals geht man so ganz. Nachts um 1:11Uhr das Telefon die Klinik Du seist gegangen sagen sie, für immer. Schockstarre Tränen. Danach jeden Tag diese kleinen Momente winzige Impulse, dass ich dir etwas erzählen will, dass ich dich mal wieder anrufen sollte. Wir könnten zusammen essen gehen, oder Kaffee und Kuchen im Garten … Vielleicht auch eine Filmabend … Impulse, die gegen die Wirklichkeit prallen. Du bist gegangen für immer doch da ist Deine Stimme in meinem Ohr, hinter meinen Augen Dein Gesicht. Niemals geht man so ganz mein Bruder
Du wolltest das Höllenfeuer ausspucken Monden Sohn nicht mehr als eine kleine Flamme sollte es für dich sein, ein Feuer zum Wärmen in der Dunkelheit verletzter Seelen. Du hast dich verlaufen in den Schlingen des Weltenwaldes, im Unterholz deiner Süchte. Doch selbst dann stolpernd durch die eigene Nacht, hast du geleuchtet. Bis zum Schluss. Die Hölle kann nicht siegen, wo noch ein Leuchten ist.
Es regnet. Schwer lasten graue Wolken auf dem Land. Die Pferde auf der Weide stehen aufgereiht, hölzern, als hätten sie den Blues. Wie denn auch könnte heute die Sonne scheinen, angesichts der entsetzlichen Bilder? Im Laufe der Jahre gab es viele Berichte aus Kriegsgebieten. Mit grausamen Bildern. Was macht diese hier so durchdringend anders, dass es bis auf die Knochen geht, das Herz für einen Moment erstarren lässt? Nicht in ihren Dimensionen, aber in der Missachtung des Lebens, dem gänzlich fehlenden Respekt vor der Schöpfung lassen die Taten, die dort zu sehen sind, an das Dritte Reich denken. Mitten in den Straßen einer Stadt wahllos herausgegriffene Kinder, Frauen und Männer, ermordet, vergewaltigt, erschossen. Männer hingerichtet, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Das Weiß der Kabelbinder um tote Hände brennt sich in die Netzhaut und bleibt. Eine unsichtbare Narbe der Unmenschlichkeit, der Finsternis in der Welt. Verdunkelt den Himmel über Russland. Schreibt die Namen der Toten in die schwarzen Wolken. In großen Buchstaben. Blutrot für Alle, die den Lügen ihrer Führer glauben. Löscht den Namen des Aggressors aus dem Buch des Lebens, aus der Geschichte der Menschheit.
Ich schreib meine Fragen in den Sand der Wind wird sie verwehen von den Bergen aufs Meer vom Meer zurück aufs Land trägt er in jedem Sandkorn den Spiegel meiner Gedanken mit sich fort hinaus in die Welt vielleicht.
Bomben auf Mariupol Menschen rennen schreien, fallen. Im Korbsessel neben dem Fernseher der Kater putzt sein Gesicht Krieg und Frieden nebeneinander mitten in meinem Wohnzimmer weit entfernt ganz nah hochgradig real. (c) Gabriele Auth
Geh uns aus der Sonne alter Mann. Du verdunkelst die Tage mit deiner Gier, beschmutzt, was hell war. Verlottert im Rausch deiner vermeintlichen Bedeutsamkeit zerrst du Alles in den Schlund deiner Selbstsucht. Wie erleichtert werden wir sein, wenn der Lauf der Geschichte dir Zügel anlegt, dich reitet wie einen störrischen Esel tief in deine eigene Hölle. Dein wütender Abgesang wird kurz nachhallen. – Schweigen – – Neustart – Ohne Dich.
T fuhr mich zwei Tage später zum Krankenhaus. Es war in der ersten Woche des Corona Lock Downs. Das bedeutete, wir standen vor verschlossenen Türen und einem laminierten Aushang: Bitte klingeln.
Nachdem ich der Aufforderung nachgekommen war, kam eine Angestellte und öffnete die Tür.
„Ich habe einen Termin in der onkologischen Ambulanz.“ „Ihre Begleitung muss aber draußen bleiben“. „Das ist mein Mann.“ »Spielt keine Rolle. Tut mir leid, wir sind im Lock Down.« »Haben Sie denn überhaupt Corona Infizierte hier«, fragte ich und merkte, wie die Angst vor der Diagnose sich zum Schutz einen wuchtigen Mantel aus Empörung umhängte. »Lass gut sein«, sagte T. In seiner Umarmung lösten sich Angst und Entrüstung auf und ließen einen Hauch Traurigkeit zurück, die sich in seinen Augen widerspiegelte. »Wir treffen uns bei den Bänken am Marktplatz«, sagte er bevor er ging. Ich sah ihm einen Moment hinterher, desinfizierte mir die Hände, setzte mich in den Wartebereich. Die Fenster, trotz der Märzkälte weit geöffnet, ließen frische kalte Luft ein. Virologen hatten dringend empfohlen, öffentliche Räume umfangreich zu lüften, um die Covid Ansteckungsgefahr gering zu halten. Ob die Lunge auch eine Gänsehaut bekommen kann? Es fühlte sich irgendwie so an. Ich hätte vermutlich auch bei geschlossenen Fenstern gefröstelt.
Der Arzt rief mich ins Sprechzimmer. Lächelte. Zu matt. Es war in der Zeit kurz vor der Maskenpflicht, eine Zeit, in der es noch menschliche Mimik außerhalb der eigenen Wohnung gab. Ich sah ihn an. Er brauchte im Grunde nichts mehr zu sagen. Ich wusste es. »Es ist ein Mammakarzinom«, sagte er.
Die Stille im Raum vibrierte um die Wette mit der Stille in meinem Kopf. »Jetzt müssen wir besprechen, wie wir weiter vorgehen«. Ich nickte. »Es sind noch mehrere Untersuchungen notwendig, um Metastasen auszuschließen«. Auszuschließen? Festzustellen? Stille im Kopf. Hier saß ich völlig allein vor dem Mann im weißen Kittel. Zwischen uns schwebte diese unfassbare Diagnose. Normalerweise hätte T neben mir gesessen. Aber T saß jetzt genauso allein auf dem Marktplatz. Verdammtes Corona Virus. Eine Sprechstundenhilfe gab mir Überweisungsscheine. Computertomographie, radiologische Knochenuntersuchung, Mammographie
Stille im Kopf
»Wir sehen uns, wenn alle Untersuchungsergebnisse vorliegen«, sagte der Arzt und verabschiedete sich von mir. Kühl und trocken lag seine Hand einen Moment in meiner verschwitzten, bevor ich mich umdrehte und ging.
Stille im Kopf
Auf dem Weg Richtung Marktplatz endlich der erste Gedanke. Ich zog das Handy aus der Tasche. Was sollte ich T schreiben? Es ist Krebs? No way! »Ich bin fertig«, schrieb ich. Sonst nichts. Ein Smiley hätte nicht hierher gepasst. Ich sah ihn von weitem. Wie er mir entgegenkam. Da lag etwas in seinem Gang.
Er weiß es, dachte ich, ging weiter, einfach einen Fuß vor den anderen, Schritt und Schritt und Schritt … In irgendeiner Zeitung hat mal ein Bericht gestanden über einen Biker. Der war nach einem Motorradunfall noch hundert Meter die Straße entlang gelaufen. Mit gebrochenem Genick. Wie sich das wohl angefühlt hatte? T umarmte mich. Tränen in seinen Augen. »Es ist bösartig«, sagte ich überflüssigerweise. »Scheiße«, fluchte er, »verdammte Scheiße.« Wir standen. Hielten uns aneinander fest. Ich konnte nicht weinen. Da war weder Zeit noch Raum für Tränen. Wenn der Boden unter deinen Füßen zu beben scheint. Wenn alles, was du für stabil und standfest gehalten hast, sich auflösen will, schau nicht nach unten. Verschaff dir einen festen Stand. Balanciere dich aus wie ein Boxer im Ring. Dann sieh nach oben in den Himmel, wo hinter den dunklen Wolken die ganze Fülle von Licht strahlt. Breite die Arme aus, umarme den Himmel und bade im Licht. Mein fester Stand in jenem Moment war dieser innere Perspektivwechsel zwischen Unten und Oben.
Einer der nie mehr auf der Gitarre „Hit the road Jack“ spielt der nie mehr Liebesworte flüstert in der Nacht Einer der nie mehr Universum Welt und Mensch versteht der nie mehr Witze macht und lauthals selber lacht Einer der nie mehr Kinder auf den Schultern trägt im Sommer nie mehr für alle Fladen backt Einer der nie mehr auf der Wiese rückwärts Fahrrad fährt nie mehr das Feuer vor dem Haus im Herd entfacht.
»Haben wir den Mut, nach der Angst zu fassen wie nach einer Klinke und einzutreten«.
Diese letzte Zeile aus einem Gedicht von Jan Skácel passte zu meiner eigenen Verfassung genauso wie zu dieser verdammten Pandemie.
Die Regierung verkündete einen bundesweiten Lock Down. Drei Tage danach rief ich beim Gynäkologen an.
»Ich möchte gerne heute noch zur Untersuchung kommen. Da ist ein Knubbel in meiner Brust«. Mein Hals fühlte sich eng und kratzig an. »Kommen Sie am besten direkt in die Praxis. Wir schieben Sie dazwischen«, sagte die Sprechstundenhilfe. Während der Fahrt zum Arzt tobte in mir ein Kampf. Zwanzig Prozent Zuversicht versuchten, sich gegen achtzig Prozent Angst zu behaupten. Das Gefühl, das sich dabei in meinem Körper breitmachte, zeigte nur zu deutlich, die Angst stand auf dem Siegertreppchen. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Gynäkologen lag ich auf der Untersuchungsliege. Auf dem Bildschirm neben mir leuchtete das Ultraschallbild. Wir sahen beide stumm auf einen dunklen Fleck, der sich in meiner Brust abzeichnete. Er war eingerahmt von milchigweißen, strahlenförmigen Linien und sah den Bildern ähnlich, die es bei Google zu sehen gab. Erschreckend ähnlich. »Das sieht schlecht aus«, wisperte ich. Aus rätselhaften Gründen schien es weniger bedrohlich zu sein, wenn man es nicht so laut aussprach. »Nun ja«, erwiderte der Arzt »es sieht so aus, ich möchte Sie gerne rüberschicken ins Marienhospital zur weiteren Diagnostik «. Seine Stimme klang beinahe neutral. Doch am Ende des Satzes siedelte ein winziges Innehalten. Unvermittelt entwickelte sich in mir ein verstörend kaltes Gefühl, bahnte sich seinen Weg vom Bauch aus in alle Richtungen meines Körpers, schien sämtliche Nervenbahnen zu kräuseln. Wasser, über das kühl der Wind streicht und kleine Wellen hervorruft. Eine Mischung aus Widerstand und Ergebenheit durchbohrte die innere Kälte. Ein geh-rüber-in-die-Klinik-du-kannst-nichts-tun-ob-du-willst-oder-nicht Gefühl. Beklommen nahm ich den Überweisungsschein in Empfang und ging zum Krankenhaus, das ungefähr fünfhundert Meter entfernt lag. Der Arzt in der onkologischen Ambulanz machte eine weitere Ultraschallaufnahme. »Das müssen wir uns gleich mal genauer ansehen«, sagte er und schickte mich zurück in den Wartebereich. Onkologische Ambulanz! Der Name waberte in düsteren Buchstaben durch meinen Verstand. Ich saß in einer verdammten Krebs Ambulanz und wartete auf weitere Untersuchungen. Die ließen nicht lange auf sich warten. Zuerst eine Stanzbiopsie. Für alle, die das nicht kennen, dabei wird mit einer sogenannten Stanznadel ein kleines Stückchen Tumorgewebe ausgestochen wie ein winziges Weihnachtsplätzchen, in meinem Fall drei winzige Weihnachtsplätzchen. Klingt das ein bisschen gruselig? Das war es irgendwie auch, aber besonders schmerzhaft fand ich es nicht. Mich quälte eher etwas anderes, da gab es definitiv einen Tumor. Stellte sich nur die Frage, ob er gutartig oder bösartig war. »Machen Sie sich nicht verrückt«, sagte der freundliche, weißhaarige Arzt, »warten wir erstmal ab, was die Pathologen sagen. Das Ergebnis sollte in zwei Tagen vorliegen. Dann sehen wir uns wieder«. Machen Sie sich nicht verrückt. Toller Spruch. Klar machte ich mich verrückt. Obwohl, das trifft es nicht genau. Ich stand eher in den Startlöchern einer sich anbahnenden Akzeptanz, dachte an die Ultraschallaufnahme, die so beängstigend an die Bilder im Internet erinnerte.
»Es sah nicht gut aus«, sagte ich, als ich nachhause kam. »Es sah verdammtnochmal nicht gut aus«. T umarmte mich. Hielt mich. Schweigen. Stabilität in der Umarmung, wo alles in mir zusammenzubrechen schien »Lass uns nicht gleich das Schlimmste denken«, sagte T.
»Ich denke nicht das Schlimmste, bloß das Realistische«, antwortete ich. Dann erzählte ich von den Untersuchungen, stand dabei innerlich vor einer riesigen Kiste Furcht neben einem sehr kleinen Kästchen Hoffnung, ein Zustand, der die nächsten Tage anhielt. Was wird wenn? Was, wenn … ach Quatsch … aber wenn doch … das kann nicht sein … alles wird gut. Aber wenn nicht? Was. Wenn. Nicht …?
»Haben wir den Mut, nach der Angst zu fassen wie nach einer Klinke und einzutreten«.