Thad the real

Wer kann sich noch an die Ideale und Idole erinnern, die er mit vierzehn hatte?

Wenn ich es versuche, bewege ich mich in einem seltsam blassbunten Nebel aus Situationen und Gesichtern.  Ich weiß nicht, ob ich Ideale hatte. Meine Idole stammten damals jedenfalls überwiegend aus Büchern,
Fünf Freunde, Pippi Langstrumpf, Huckleberry Finn. Am nächsten war mir Huck Finn, nur dass es ihm schlechter ging als mir. Viel schlechter.
Meine eigene Familie war, ich sag mal, suboptimal.
Huck’s Familie existierte nicht. Da war Niemand.
Er kam damit klar. Irgendwie. Allein das sicherte ihm meine maximale Bewunderung und mir selber später -möglicherweise- jene Reihe liebloser Beziehungen mit Männern, die wie Huck, alle irgendwie damit klar kommen mussten, dass ihnen im Leben etwas Wesentliches fehlte.
Ich war leider nie das fehlende Element.
Welche Idole haben Vierzehnjährige von heute?
Fußballspieler? Popstars? Rapper oder vielleicht Helden aus Computerspielen?
Ich kenne nur einen Vierzehnjährigen, einen Jungen aus der Nachbarschaft.
Thaddeus.
Thad the real, so nennt er sich selber. Wer will mit vierzehn schon Thaddeus heißen? Und ja, auch er ist Einer, der irgendwie klar kommen muss.
Seinen Vater sieht er selten. Manchmal verspricht der ihm, er würde ihn abholen, aber dann kommt er doch nicht. Eigentlich öfter als manchmal.
Als er klein war, liebte er den Baba sehr, bedingungslos gewissermaßen. Jetzt ist er schon groß und hat gelernt, es ist manchmal besser, nicht so sehr zu lieben. Papa gibt ihm Geld, kauft ihm stylische Klamotten und sogar die neuste Playstation. Das findet Thad super. Irgendwie.
Ein paar Mal sind sie zusammen in den Urlaub gefahren, nach Kroatien oder in die Türkei, Papa und er und Papas neue Freundin.  Thad findet sie ganz okay.
Trotzdem hat er auf so einen Urlaub keine Lust mehr. Er bleibt in den Sommerferien inzwischen lieber Zuhause. Sechs Wochen Zeit für Playstation mit den Kumpels, den Bros, wie er sie nennt, im Gruppen-Chat bei Fortnite, sind schwer zu toppen. Klar, seinen Papa findet er zwar „nice“, aber hey, der ist kein Vorbild für ihn.
„Ich will Youtuber, werden“, sagt Thad the real , „ Ein Streamer oder ein krasser Influencer. Whalla!“ Seine braunen Augen leuchten.
„So wie Rezo, der Typ mit den blauen Haaren, der in seinem YouTube Video, Die Zerstörung der CDU,  so richtig Klartext gesprochen hat?“ frage ich.
Er lacht.  „Rezo,  auf jeden Fall ein Ehrenmann.“, sagt er,  „aber, ich weiß nicht, ich will andere Sachen machen.“
Thad’s liebstes Idol ist zur Zeit ein deutscher Rapper mit türkischen Wurzeln, einer, der wahrscheinlich auch sein Leben lang mit irgendetwas klar kommen musste. Ein großes Banner von dessen Crew, den Bela Boyz, hängt an der Wand über Thad  the real’s  Bett. Wenn man vierzehn ist, können solche Banner mächtige Schutzzauber sein, vielleicht mächtiger, als die Traumfänger, die Mütter ihren kleinen Kindern über die Bettchen hängen.

Was wäre, wenn wir weder Idole, noch Ideale bräuchten? Wenn wir nur eine Idee davon brauchen, wer wir sind und wer wir werden können?
Die beste Version unserer selbst.
Influencer für das eigene Leben?
Thad the real hätte das Zeug dazu.
Er ist nicht der Einzige. Zum Glück. Doch sie müssen es wollen, diese Kids in den Whats App und Fortnite Gruppenchats, bei Snapchat, auf Instagram und vor den TV Bildschirmen.
In einer Welt, die ihnen kaum Vorbilder bietet, wo Mütter intensiv auf ihren Smartphones daddeln und Väter verschwunden scheinen, selbst wenn sie manchmal anwesend sind. Wo Erwachsene darüber reden, was richtig ist und es dann oft selber nicht tun.
Was Thaddeus wohl von Greta Thunberg hält? Ich denke, ich sollte ihn  ab und zu zum plaudern auf eine Cola einladen, oder besser ein Malzbier. Thad the real  liebt Malzbier, da ist er nicht anders, als ich mit vierzehn war.
Tut gut geht anscheinend immer.
Verrückt.

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Foto/ Pexels on Pixabay

Minikrimi – Wortspielerei

Ich wurde aufgefordert, einen Mini Krimi (maximal eine Seite) zu schreiben. Dies hier kam dabei heraus, kein Krimi, eher eine Wortspielerei. Ich schwöre, ich hab noch nie, niemals einen Krimi geschrieben und bewundere alle, die es können.
Schritte.
Hinter mir. Im gleichen Takt wie meine eigenen.
Die ganze Zeit.
Warum sind die verdammten Laternen so trübe? Oder liegt das am Nebel? In den Fenstern der Häuser brennt kein Licht. Dunkel ist es. Stockdunkel. Ein seltsames Wort.
Die Schritte hinter mir werden schneller, wenn ich schneller werde.
Mein Atem will ausbrechen. Die Lunge sprengen. Fast schon hechelnd.
Bloß nicht umdrehen. Nicht über die Schulter sehen.
Schritte, die näher kommen.
Schneller, ich muss schneller gehen. Die verfluchten Stiefel haben so hohe Absätze. Ich wollte ja heute unbedingt sexy sein. Mein Atem steht in weißen Wolken in der Winterluft, geht schnell. Viel zu schnell. Wie die Schritte.

Cool bleiben oder losrennen?

Der Typ in der Kneipe, der mich die ganze Zeit so angestarrt hat. Als ich raus ging, streifte seine Hand meinen Rücken.
Dem möchte ich nicht im Dunklen begegnen, dachte ich.
Es ist dunkel. Ob er…?

Ich laufe schneller. Mein Atem keucht. Oh Gott. Ich will nicht… ich renne.

Die fremden Schritte rennen mit. Die Stiefel ausziehen. Auf Strümpfen wäre ich schneller.
Nein.
Ich müsste dazu kurz stehen bleiben.
Auf. Gar. Keinen. Fall.
In meinem Magen wabert eine dunkle amorphe Masse. In meinem Mund ein Geschmack wie schwarzes Silber.
Woher weiß ich wie das schmeckt?
Die Schritte kommen näher.
Da vorne. Die Kreuzung. Auf der anderen Straßenseite sind Geschäfte. Hell erleuchtet. Nur noch über die Straße.
Rennen.
Keuchen.
Rennen.
Keucht es hinter mir auch?
Ist das Atemluft, die kühl auf meinen Nacken trifft?
Die kleinen Härchen richten sich auf.
Endspurt.
Rennen.
Die Straße. Schnell. Schneller. Ich. Das Auto. Ein  Mercedes.
Verdammt. Bremsen kreischen.
Im Fallen geht mein Blick zurück.

Da ist niemand. Niemand.

Ich…

Schwarz.