Kulissen

Die Bühne ist bereitet, ein ganzes Leben schon. Aus den Kulissen klingt der Chor der Nornen und tausendfach durchbohren Blicke mir die Haut. Ich trage keinen Blickschutzfaktor, nur mein Herz. Und Liebe.
Das Lied der Nornen hat die Düsternis verloren und auch das Augenpaar der ersten Stunde, es macht mir keine Angst mehr. Ich muss nicht mehr agieren, steh einfach still erwartungslos, öffne die Arme weit und auch der Tod ist nur ein neues Bühnenbild.

Das Buch zum Blog

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Mensch lernt

bei Amazon im Moment nur als E-book, aber beim Verlag schon als Taschenbuch zu bekommen.

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Fast ein schönster Tag

Die ganze Fülle, vom Sternenhimmel bis zum Sonnenaufgang, und dazwischen dieser Typ mit der Gitarre und seinen Beatles Songs. Alle reden wie ein großer verquerer Gesang. Wir lachen durcheinander mit Augen und Händen und wir kickern rundherum und singen laut while my guitar gently weeps, bestellen noch ein Bier und mittendrin  ein federleichtes Schweigen, einfach so, und bald ist Weihnachten.

Zeichen aus dem Heimatbunker

Begegnungen wie frisch gefallener Schnee. Der Raum zwischen uns, eine unberührte Fläche. Behutsam setzen wir unsere Spuren ins Weiß. Manchmal mit einer ungestümen Bewegung, immer wieder scheu zurückweichend und leise die harte Spur verwischend. So entstehen Zeichen und Muster. Sie glitzern im Licht. Wir erfreuen uns an ihnen. Unter dem Schnee, die Erde  bereitet sich vor auf Frühlingsblühen.

Kostbarkeiten

Kostbarkeiten

Der kühle Kuss der Nacht nach einem heißen Sommertag.

Der Blick aus den Augen eines Neugeborenen.

Das Tschilpen der Spatzen an einem Frühlingstag.

Das Prasseln des Sommerregens auf der Haut.

Sonnendurchstrahlte Wolken.

Die Farbe des Meeres kurz vor Sonnenuntergang.

Der Blick von einem Berggipfel.

Erste Fußstapfen auf einer Schneefläche.

Ein Blick in die Augen einer heimlichen Liebe.

Der Geruch von Regen.

Haut an Haut mit Dir.

Der Duft eines Tannenwaldes.

Der Geschmack von harzigem Wein im Schatten eines Maulbeerbaumes.

Das Singen der Zikaden Im Olivenhain.

Dein Lächeln wenn ich zur Tür hereinkomme.

Dein Pfeifen wenn Du zur Tür hereinkommst.

Leben mit allen Sinnen.

Jakobs Christkind

Jakob kann nicht einschlafen.
Er denkt an morgen. Er verspürt so ein kribbeliges Freudegefühl.
Wie soll denn dabei das Einschlafen funktionieren?
Morgen ist Weihnachten. Da kommt das Christkind und bringt Geschenke für Jakob. Vielleicht einen großen Bagger, oder sogar das Feuerwehrauto, das er im Fernsehen gesehen hat. Richtig fahren konnte das. Der Junge im Fernsehen hat auf einen Knopf gedrückt und hui ist das Auto tatü tata losgebraust. So eines wünscht sich Jakob. Dann wird er ein richtiger, toller Feuerwehrmann sein. Jetzt, wo er daran denkt, kann er erst recht nicht mehr einschlafen.
Er öffnet die Augen.
Im Zimmer ist es nicht so dunkel wie sonst. Draußen schneit es. Dicke Flocken stupsen gegen die Fensterscheibe. Der Garten ist zugedeckt mit einer glitzernden, weißen Schneedecke. Es sieht aus, als flimmerten darauf winzige blaue, rote und gelbe Lichter. Jakob klettert aus seinem Hochbett und tapst zum Fenster. Das Schneegestöber wird immer dichter. Schön sieht das aus. Über der Terrassentür des Nachbarhauses hängt ein Stern, der abwechselnd rot, gelb und blau aufleuchtet.
Ob die tanzenden Lichter im Schnee von dem Stern kommen?

Jakob will es genau wissen. Er zieht seinen Schneeanzug an, schlüpft in die warmen Winterstiefel und wickelt sich seinen bunten Lieblingsschal um den Hals. Den hat die Oma für ihn gestrickt. Er ist weich wie das Fell von Titus, dem Kater. Am Haken hängt die rote Wollmütze. Jakob findet, dass sie sich kratzig anfühlt. Mama sagt, das wäre Quatsch. Mama muss die Mütze ja auch nicht aufsetzen.
„Jakob, setz deine Mütze auf“, sagt sie immer und dann streiten sie ein bisschen und am Ende gewinnt Mama. Aber sie schläft jetzt.
Jakob kann tun, was er will.
Er klatscht in die Hände. Lacht, die Augen leuchtend wie blaugrüne Glasmurmeln. Er öffnet die Tür, dreht sich noch einmal um, sieht die Mütze, die einsam am Haken baumelt, geht zurück, nimmt Mütze und Handschuhe, steckt sie in die Taschen seines Schneeanzugs. Vielleicht braucht man ja doch eine Mütze, wenn man nachts in den Garten geht und es so stark schneit.
Im Haus ist es sehr still. Nur das Ticken der  alten Standuhr im Wohnzimmer ist zu hören. Papa und Mama liegen schon lange im Bett.
Jakob ist ganz alleine wach.
Das ist noch nie passiert, aber heute ist eben ein besonderer Abend, der Abend, bevor das Christkind kommt. Da kann alles passieren. Vorsichtig tastet Jakob sich durch den dunklen Flur zur Gartentür. Beinahe wäre er über den Schirmständer gestolpert. Puh, das hätte einen Krach gegeben.
Die Tür zum Garten quietscht beim Öffnen. Es hört sich an wie Titus, als Mama ihm einmal auf den Schwanz getreten ist. Ob das Quietschen sie aufgeweckt hat?
Jakob bleibt stehen wie ein Denkmal.
Im Haus ist es immer noch still. Glück gehabt. Leise huscht er hinaus vor die Tür. Schneeflocken schweben ihm ins Gesicht. Er fängt ein paar von ihnen mit der Zunge auf. Sie werden zu kleinen Wassertropfen, die ganz anders schmecken als Regen oder Wasser aus dem Wasserhahn. Sie schmecken nach Winter, nach Sternenluft.
Jakob sieht die Lichter des bunten Weihnachtssterns auf der zugeschneiten Wiese tanzen. Der Schnee glitzert, eine große helle Fläche, die noch niemand betreten hat. Langsam macht Jakob den ersten Schritt ins Weiß und wieder einen und noch einen, eine lange Spur von Schritten bis zum Holunderbusch.
Was ist das?
Dort hinten, hinter dem Apfelbaum, nahe an der Hecke, da, wo das kleine Gartentor ist, da hat sich doch etwas bewegt.
Er macht noch zwei Schritte, versucht zu erkennen, was da ist. Jemand steht dort und sieht zu ihm herüber. Seine Augen gewöhnen sich allmählich an die Dunkelheit. Es sieht aus, als stünde ein Kind an der Hecke. Er schleicht ein Stückchen weiter, hält wieder an. Ja. Es ist ein Kind. Etwas kleiner als Jakob. Es steht ganz still. Er geht noch näher heran. Jetzt sehen sie sich an, Jakob und das andere Kind, ein Mädchen in einem hellen, dünnen Kleid.
„Ist dir nicht kalt“, fragt Jakob. „Du hast keine Jacke an.“
Das Mädchen sieht ihn an, ihre Augen dunkel wie die Augen von Jakobs Lieblingsteddy. Er geht noch ein Stückchen näher und streckt die Hand aus. Das Mädchen weicht einen Schritt zurück, starrt ihn weiter an.
„Hallo, ich bin Jakob“.
Sie klatscht in die Hände und sagt etwas in einer Sprache, die Jakob nicht versteht.
„Ich dachte, du bist das Christkind“, antwortet er. „Du hast so ein schönes Gesicht. Und deine Haare und deine Augen leuchten.“ Er lächelt, hält dem Mädchen weiter die Hand hin. Sie legt ihre Hand in seine. Ganz kalt fühlt sie sich an. Jakob zieht seine Handschuhe aus der Tasche. Den einen stülpt er ihr über die kalte Hand. Dann hält er ihr den anderen hin und macht Zeichen, dass sie ihn nehmen soll. Sie zögert kurz, nimmt den zweiten Handschuh und zieht ihn an.
„Shirin“, flüstert sie, „ich Shirin.“ Dabei tappt sie sich mit der Hand auf die Brust.
Jakob versteht.
„Jakob“, sagt er und zeigt mit dem Finger auf sich „ich bin Jakob“.
Das Mädchen lächelt.
Jakob merkt wie sein Mund mit lächelt. Shirin nimmt seine Hand und zieht ihn durch das kleine Gartentor. Dahinter liegt die große Wiese vom Turnverein. Das Mädchen zeigt auf die Turnhalle am anderen Ende.„Shirin da geht“ sagt sie.
„Du musst in die Turnhalle gehen?“
Sie nickt, sagt wieder einen langen Satz in der fremden Sprache. Dann lässt sie seine Hand los und geht weiter, auf die Turnhalle zu. Jakob sieht ihr einen Moment nach.
„Warte, ruft er dann und läuft hinter ihr her „Shirin, warte.“
Sie dreht sich um. Ihre Locken sehen ein bisschen nass aus, viele Schneeflocken haben sich darauf niedergelassen. Jakob nimmt seinen bunten Strickschal ab, wickelt ihn behutsam um Shirins Hals. Sie lacht. Da zieht er noch die rote Wollmütze aus der Tasche und setzt sie auf ihren Kopf.
„Das Christkind soll nicht frieren“ sagt er und umarmt Shirin. Es fühlt sich an, als könnte sie kaputtgehen, wenn man nicht aufpasst, leicht und dünn wie ein kleiner Vogel. Sie schlingt ihre Arme um Jakob und küsst ihn erst auf die eine, dann auf die andere Wange.
„Ma’ as Salama “, flüstert sie.
Dann läuft sie flink in Richtung Turnhalle. Jakob sieht so lange hinter ihr her, bis sie nicht mehr zu erkennen ist. Seine Augen brennen ein bisschen vom langen Hinsehen. Langsam dreht er sich um und geht zurück über die Wiese. Seine alten Fußspuren sind vom Schnee verwischt. In seiner Brust hat er ein flatteriges Gefühl, warm und schön.
„Das Christkind heißt Shirin“, flüstert er als er zurück ins Haus geht.

Foto/ ferdelans2008 on Pixabay

Seidelbast

Die Beeren des Seidelbast rot leuchtend
und giftig wie unechte Freundschaft.

Haiku für eine ehemalige Freundin, die Haikus liebt

Ohnmacht

November. Gelsenkirchen Hauptbahnhof. Später Nachmittag. Das Hamsterrad des Feierabendverkehrs dreht sich. Viele müde Menschen. Kauflustige Hausfrauen, Rentnerinnen, die kleine Hunde an langen Leinen hinter sich herziehen und Männer aller Altersgruppen mit Aktentaschen oder Rucksäcken. Leere Blicke. Finger die über Smartphones wischen. Jugendliche mit Musikstöpseln in den Ohren. Alltag.
Ich schwimme mit dem Strom Richtung Bahnhofsgebäude, vorbei am Drogeriemarkt, neben dessen Eingangstür eine Holzbank zum Ausruhen einlädt. Ob ich mich setzen soll? Mein Bedürfnis, nachhause zu kommen ist größer als meine Lust auf eine kurze Pause mitten im Getümmel. Wenige Schritte nachdem ich die Bank hinter mir gelassen habe, höre ich eine heisere Frauenstimme hinter mir schreien
„Untersteh dich, noch mal abzuhauen!“
Begleitet von Kinderweinen.
Ich drehe mich um. Auf der Bank ein Junge, vier oder fünf Jahre alt vielleicht. Die schreiende Frau ragt über ihm auf. Ihre Hände fahren durch die Luft, landen immer wieder in dem Kindergesicht. Sie brüllt, dass ihre Stimme fast überschnappt.
Ich stehe eine Sekunde starr. Verdammt, das ist ein Kind. Ich setze mich in Bewegung. Als ich die Bank erreiche, spricht bereits eine andere Passantin die Frau an.
„Hören sie auf, das Kind zu schlagen. Das geht gar nicht.“
„Kümmern Sie sich um ihren eigenen Kram“ brüllt es zurück und die Angesprochene rennt in den Drogeriemarkt. Die Passantin, eine junge Frau mit langen, braunen Haaren und einem bunten Strickschal geht vor der Bank in die Hocke, redet leise mit dem weinenden Kind. Der Junge schluchzt und starrt auf den Boden. Ich sehe wie die Schlägerin sich noch einmal umdreht, zurück gerannt kommt, schreit:
„Und das soll jetzt okay sein, sich an den Jungen ranmachen und sich in fremde Angelegenheiten einmischen?“
„Klar mische ich mich ein“, antwortet die Junge. „Sie haben das Kind geschlagen. Das ist es, was nicht in Ordnung ist.“
„Das geht Sie gar nichts an. Ich hatte schon meine Gründe.“
„Für so was gibt es keinen Grund“, sage ich jetzt.
„Was wollen Sie denn, sich auch noch um Sachen kümmern, die Sie nichts angehen?“ keift die Frau mich an und setzt sich neben den Jungen auf die Bank. Aus wässrig blauen Augen sieht sie uns an. Ich schätze sie auf Mitte fünfzig. Ihre Haare sind schulterlang und strohig vom Blondieren.
„Ich seh mir doch nicht an, wie Sie auf Ihr Kind einschlagen“ antworte ich.
„Das ist nicht mein Kind.“
„Umso schlimmer“, ruft eine Passantin mit blauem Kopftuch, die ebenfalls stehen geblieben ist.
„Ich rufe das Jugendamt an“, eine andere.
„Halten Sie sich da raus“, brüllt die Frau auf der Bank.
Ihr Credo.
Der Junge weint leise in sich hinein, die braunen Augen starr geradeaus gerichtet. Unter seiner Strickmütze lugen ein paar dunkle Haarsträhnen hervor. Die Frau mit dem bunten Schal streicht ihm über die Schulter. Er hält beide Hände zwischen die Knie gepresst. Rote Flecken leuchten auf seinen Wangen. Zeichen der Ohnmacht.
„Ich bin vom Jugendamt“, höre ich eine Stimme hinter mir, drehe mich um. Da steht eine Frau mit Smartphone in der Hand.
„Die Polizei ist unterwegs“, sagt sie. „Hat jemand gesehen, wie das Kind geschlagen wurde?“
Sie blickt in die Runde der Passanten. Einige nicken.
„Ich hab den Jungen nicht geschlagen“, kreischt die Blonde und springt von der Bank, das Kind am Arm hochziehend.
„Los jetzt, wir gehen.“
Sie zerrt den Kleinen mit sich, versucht im Strom der Einkäufer unterzutauchen. Drei Frauen hasten hinter ihr her. Ich sehe ihnen nach wie sie in die Fußgängerzone einbiegen. Von rechts kommt ein Polizeiwagen. Die Frau vom Jugendamt spricht kurz mit dem Fahrer. Der Wagen schiebt sich wie ein Keil in die Menge hinter der Blonden her.
Die Jugendamtsmitarbeiterin kommt auf mich zu.
„Haben Sie gesehen, wie das Kind geschlagen wurde?“
Ich nicke.
„Würden Sie mir Ihren Namen und Ihre Telefonnummer geben und bezeugen, dass die Mutter den Jungen verprügelt hat? Die anderen Zeugen sind ja alle hinter ihr hergelaufen.“
Ich nicke, nenne ihr meine Daten und erzähle, was ich gesehen habe.
Eine halbe Stunde später im Zug. Mein Handy klingelt. Die Polizei, die nach meinen Beobachtungen fragt.
Die Bahn ist voll. Ich stehe im Gang, sehe während ich rede, dass mehrere Fahrgäste zuhören.
„Ich stehe in einer brechendvollen Bahn“, sage ich zu der Beamtin. Jetzt wissen hier alle Bescheid.“
Manche Fahrgäste grinsen. Die Beamtin bedankt sich und wünscht mit einen schönen Abend. Na ja.
„Bei Kontonummer und Geheimzahl, sollte man Schluss machen“, sagt ein Mann neben mir und lacht. Ich versuche mitzulachen, aber es gelingt mir nicht so richtig. Ich fühle mich hilflos. Wie die schlagende Frau? Wie der kleine Junge? Nein, ich bin nicht so ausgeliefert wie er. Jemand, der so klein und hilflos ist wie er, sollte nicht ausgeliefert sein. So viel Ohnmacht.
Verdammte Welt.

Paris

Menschen rennen schreiend durcheinander.
Weinende Frauen
Verängstigte Kinder
Blaulicht
Polizei
Feuerwehr
und
jede Menge Journalisten und Kameras.

Paris am Abend des 13.11. 2015
Tagesschau Sondersendung bis tief in die Nacht.
Immer wieder dieselben Bilder, die gleichen fassungslosen Kommentare der Nachrichtensprecher in Dauerschleife.
Geteiltes, kollektives Entsetzen.

Hundert Prozent mediale Aufmerksamkeit auf allen Kanälen, TV, Internet, social media, Presse. Aufmerksamkeit für den Terror.
Und auf dem Boden neben deutschen Fernsehsesseln ein paar einsame, unbeachtete Chipskrümel.
Was, wenn Medien und Menschen einfach erstmal schweigen würden?
Kerzen anzünden, Hand in Hand auf die Straße gehen, deutschlandweit, europaweit, weltweit?

Ich denke an glückliche Momente auf dem Platz vor Notre Dame, auf den Stufen von Sacre Coeur und auf der Pont Neuf bei Sonnenuntergang.

Während ich so denke, schreibe ich diesen Text und stelle ihn in die Öffentlichkeit.

Verrückte, aus den Fugen geratende Welt.
Karneval des Untergangs, oder Geburtswehen einer neuen Zeit?
Wird Europa ein Kind gebären?
Welchen Namen wird es tragen?

Lösung

Löse mich
aus Enge,
Kleingeist
Stumpfsinn,
meinem Leben,
der alten Haut.

Entfaltet,
federleicht
und frei
flieg ich,
ins Neue,
Offene.