Die verwirrende innere Wundheit, das unwirkliche Gefühl im eigenen Blutstrom zu versinken, ein Rauschen und Flimmern in den feinen Kapillargefäßen zu spüren, wenn du erfährst, dass jemand unerwartet gestorben ist. Jemand, den du nicht gut, aber gut genug kanntest, dass sich jetzt Tränen in deinen Augen sammeln. Jemand, der mehrere Jahre jünger war als du, sportlich, schlank, augenscheinlich gesund. Nur dass sein Herz jäh still stand. Aus heiterem Himmel. An einem sonnigen Frühlingstag. Einfach so.
erleben
Der letzte Demiurg
Radikal –
der Lauf der Zeit.
Bist du bereit?
Weggeknallt und abgestellt
lauscht du dem Schrei
der Krähen,
die ohne Scham und gierig
sich um das fahle Fleisch
der Toten scharen.
In der Mitte des Orkans
ist Stille.
Zeit nichts als der Wahn
des letzten Demiurgen.
Vergiss und staune.
Angst vorm Fliegen
Lasse das Messer in der Tasche.
Obwohl,
es könnte mich beschützen,
wenn ich ohne Halt
in mir verloren steh.
Okay,
trag es nun ungeöffnet in der Hand.
Vielleicht kann es mich stärken,
wo ich mich hilflos in den
Fesseln meines Lebens seh’.
Ja,
ich öffne es und halte es wie
Schild und Schwert zugleich.
Blassgrauer Stahl
schluckt alles Licht.
Ich stehe, atme,
warte auf ein Signal,
das mir Beruhigung schenkt.
Endlich sinkt der Arm,
schließt sich das Messer
und der Kreis.
Unbeschwert lass ich
das unbrauchbare
zu Boden trudeln,
gehe meinen Weg
unbeeindruckt von
Unwägbarkeit.
© Gabriele Auth
furchtlos
Ernüchterung, die kranke Blässe nach dem Tag der Pauken und Trompeten.
Das klirrend klare Drehmoment des Denkens, wenn schwer und lahm das Herz sich in der Mäßigkeit verliert. Ernüchterung, wenn alle Türen fast geschlossen und nur die eine weit geöffnet steht, die giftig leuchtend in die Steppe führt. Wo Hände ziellos in den Niemandshimmel greifen und Blicke mutverloren stolpern über dürres Gras. In einem Atemzug vergeht die Welt und am Horizont verhallt der Jubel der Chimären. Furchtlos schleicht ein Sonnenstrahl ins Grau.
Zeugung
Dunkelheit. Stufenloses Blau. Sanft. Warm. Zärtlich. Wasserweich. Feuergleich. Tanzendes Licht. Eine Stimme. Liebevoll lockend. Ruft dich auf, einzutauchen. Geschlossene Augen. Singender Geist. Traum. Leben, das war. Leben, das kommt. Die Aufgabe. Vorbei. Zieht vorbei. Nirgends hinzugehen. Sein.
Was wirst du tun? Sterngeborener.
Sterngeborener. Wer rief ?
Verblassen des Traumes. Fort. Fort. Augen öffnen sich. Sternenstaub flieht von den Lidern. Pures Leben. Die Stimme ruft, sanft ziehend. Eine Spirale, magisch, unwiderruflich, hinein, hinunter, in großen Kreisen, kleiner werdend. Spiralenfall. Einsenken aus unendlichem Blau in endliches rotbraunes Dämmern, Wasser statt Luft. Fließen statt sein.
Pott Pearls
Das vielgeschmähte, einst voller Ruß und Schlote, mein Land im Westen, wo über Hochöfen der Himmel brennt. Wo die Augen der Großväter leuchteten in müden Gesichtern, bedeckt mit dunklem Staub, der von der Kohle zeugte. Mit schwieligen Händen aus dem Schacht gegraben.
Und meine Stadt, die spröde, die oft nach Seeluft schmeckt. Nicht mehr so ganz im Inland und doch noch nicht am Meer. Da, wo alte Kerle „anne Bude“ gehen. Bei Bier und Kurzem mit den Kumpels reden. Über Rot-Weiß und über Kalle von nebenan, den seine schwarze Lunge langsam um die Ecke bringt. Mit schweren Schuhen schlurfen sie durch schmutzigbraunen Schnee. Über ihnen der Himmel, grau und drückend wie die Last der Jahre. Doch wenn sie lachen spürt man Sonne. Mutter heisst „Mudder“. Man sagt: „Komma här“ wenn man sich ruft. Und viele Worte klingen rauh und schroff wie alte Steine, dort, wo man oft auch mit dem Herzen sieht.
Wo am Kanal die Kähne tief im Wasser liegen. Wo braungebrannte Bengels von der Brücke springen. Sie lachen, wenn das Wasser aufspritzt. Voll prickelnder Erleichterung und weil die Mädchen kreischen vor Angst. Und aus Bewunderung.
Wie oft hab ich ihn schon verlassen, fand sanfte Hügel, weites Meer, fand liebevolle Worte in einem anderen Land. Wie oft sprach ich davon, nie mehr zurückzukehren. Ich weiss, das Paradies hat er mir nie versprochen. Doch wenn ich aus den sonnig süßen Weiten mich langsam auf ihn zu bewege, den Kreis durchbreche und die schwere Luft mir fast den Atem nimmt, dann singt ganz leise auch ein Liebeslied in mir. Ein Lied für seine grauen Städte und sein helles Herz. Ruhrpott, so unfassbar. So rätselhaft vertraut. So bittersüß geliebt.
Im Leben verorten
Dieser schrille Ton, der das Gehirn fast zersprengt. Aufwachen, den Kopf drehen, die Geräuschquelle suchen. Neben mir auf dem Tisch, ein schwarzes Ding. Den Schalter drücken. – Stille – Die Hirnhaut kommt zur Ruhe, eine sanft ausschwingende Membran. Ich fühle mich wie ein verstimmtes Klavier in der Wüste. Sperrig, nutzlos, fehl am Platz. Zögernd steige ich aus dem Bett. Die nackten Füße berühren den Boden. Holz auf Holz, denke ich. Vor dem Fenster schreien Krähen ein misstönendes Lied in den grauen Himmel. Ein Montagmorgen im Februar. Verorten im Leben.
Brausepulver
Mein Denken ist Ahoi-Brause, Himbeer und Waldmeister, prickelnd auf der Zunge, künstliche Aromen in die Synapsen knallend, wild sprudelnd, Himmelblaugrün und Rosa. Mein Herz sieht dem Verstand beim Schäumen zu und lächelt, weiß schon längst, was ich im Himbeerschaum nicht finden kann, weiß immer alles und hat uns trotzdem lieb, mein übersprudelndes Denken und mich.
Nicht Cinderella
Die bin ich, die in rein gar nichts passt, war meiner Mutter allzu dünn, zu blass als Kind und später dann zu schwarz, zu bunt, zu sehr Zigeunerin.
Die Lehrer kamen leidlich mit mir klar, weil ich so wortreich reden konnte. Doch diese aufmüpfige Art, die störte ihr gepflegtes Bild.
Vater fand seine Tochter wohlgeraten, solang sie keine Widerworte gab. Nur meine Freunde passten nicht in sein Konzept. Von denen spürte mancher, dass auch ich nicht in seines passte. Zu wenig Weibchen. Zu sehr Blaustrumpf. Zu rot die Nägel und trotzdem nicht Femme Fatale.
Kann nicht gut singen, spiel kein Instrument, und hab ich Geld, geb ich es einfach aus so völlig ohne Sinn für hohe Kanten.
Es sind wohl mehr als tausend Schubladen, in die ich nicht hineingepasst und abertausend Worte, die mich mahnten und mich nie erreichten.
Oh ja, ich habe es versucht, hab mich gebogen, hab die Ferse abgehackt um in manch engen Schuh zu passen, den irgendein altkluger Prinz mir reichte.
Hat nie geklappt. Blut war im Schuh und ich mal wieder nicht die blonde Fee, das liebliche Dornröschen oder Aschenputtel.
Doch in mir klingt Musik, dass Herz und Seele tanzen, wann immer ich den Klängen lausche, und Liebe ohne Ziel und Limit füllt mich aus.
Gebt eure Schuhe und den klugen Rat ruhig denen, welche wohlgeraten und adrett euch eure Wünsche von den Lippen lesen.
Ich tanze weiter mit den Sternen, die über mir und in mir kreisen.
Ich bin die böse Schwester, bin die schwarze Fee.
Ich bin nicht nett.
Neujahr
Süße Melancholie des Neujahrstages.
Altes nicht ganz vergessen und gegangen.
Neues noch nicht wahr und offenbar.
Herz im Mittelpunkt der Möglichkeiten,
zwischen Tod, Geburt und Neubeginn.
Und dann der Regen in den kahlen Birken
und die dunklen Silhouetten von Krähen
am grauweißen Himmel und jedes Lächeln
ein Sonnenstrahl, Vorbote aufkeimender Wärme.
Fülle.
