Moonchild

Du wolltest das Höllenfeuer ausspucken Monden Sohn
nicht mehr als eine kleine Flamme sollte es für dich sein,
ein Feuer zum Wärmen in der Dunkelheit verletzter Seelen.
Du hast dich verlaufen in den Schlingen des Weltenwaldes,
im Unterholz deiner Süchte.
Doch selbst dann
stolpernd durch die eigene Nacht, hast du geleuchtet.
Bis zum Schluss.
Die Hölle kann nicht siegen, wo noch ein Leuchten ist.


Bild, oil on canvas by Jonathan Auth

Krieg und Frieden

Bomben auf Mariupol
Menschen rennen
schreien, fallen.
Im Korbsessel
neben dem Fernseher
der Kater
putzt sein Gesicht
Krieg und Frieden
nebeneinander
mitten in meinem
Wohnzimmer
weit entfernt
ganz nah
hochgradig real.
(c) Gabriele Auth



Krallen

Manchmal wär‘ ich gerne

eine dieser Katzen

leicht verwildert mit

Krallen an den Tatzen.

Die würde ich hegen

schärfen und pflegen,

und stellte mir einer

die falschen Fragen

dächte vielleicht, er

könnte mir sagen

wie ich mein Leben

leben soll …

husch

hätte er Schrammen

im Gesicht

und ich putz mir die Nase,

mehr wäre da nicht.

© Gabriele Auth

                                   

Foto/Pixabay

Traumatage 4

Manchmal stelle ich mir vor, bei der Geburt konnten wir uns noch an Alles erinnern, alles, was jemals war, sein wird und immer ist.
Vermutlich nur wenige Minuten, in denen der Sinn unseres Lebens, der Sinn allen Lebens uns gegenwärtig war. Vielleicht sogar mehr als ein paar Minuten.
Kann es sein, dass mit der Geburt ein Prozess beginnt, in dessen Verlauf alle körperlichen und kognitiven Fähigkeiten zunehmen, während sich das Geheimnis, woher wir kommen und warum wir hier sind, immer tiefer in uns verbirgt?
Ob meine Idee Wirklichkeit sein könnte? Ich weiß es nicht, aber stelle es mir vor und frage mich, wo in mir ich dieses Geheimnis wiederfinden könnte.
Wo verbirgt sich das Wissen, das uns ins Leben begleitet ?
 
Meine eigene Geburt liegt viele Jahre zurück. Inzwischen ist mein Leben ein Buch, von dem ich fast nur den Titel kenne und verstehe, der lautet:
Das Erkennen des Universums in drei Minuten und warum wir dafür so viele oder alle Jahre unseres Leben brauchen.“

Könnte ich doch heimlich die letzte Seite meines Lebensbuches  lesen, quasi als vorgezogenen Epilog.
Welche Quintessenz würde ich entdecken?
Vermutlich finden sich dort nur die Worte:
„Als du geboren wurdest, konntest du dich an Alles erinnern, an alles, was je war, sein wird und immer ist.“

Aber, wie ging es weiter?
Stell dir vor, gleich nachdem du ins Leben gepresst wirst, willst du es der Welt erzählen. Staunend berichten von der Erinnerung, der universellen Erkenntnis des Ganzen. Doch es funktioniert nicht. Als wäre von allem, was ist, ausgerechnet die Sprache verloren gegangen.
Der Schmerz des Nicht-Ausdrücken-Könnens, der nahezu totale Verlust der Kommunikation brennt wie Feuer.
Du schreist. So laut du kannst.
Und schreist weiter.
Sie lachen und freuen sich.

„Das Kind hat eine gesunde Lunge haben sie gesagt“, erzählte meine Mutter über meine Geburt.
So ein Geburtsschrei, sozusagen der Urschrei, begleitet fast jeden Menschen ins Licht der Welt.
„Das Kind hat Hunger“, sagen sie und geben dem Säugling Milch. Es muss ein unvergleichliches Gefühl sein, die Wärme, den Herzschlag und die Haut der Frau zu spüren, die deinem Wachstum monatelang in ihrem Körper Raum gegeben hat. Dazu die unbeschreibliche Befriedigung, wenn die Nahrung jede deiner Zellen belebt. Die satte Müdigkeit danach.

Machen wir uns nichts vor, mit der ersten Milch nach dem ersten Atemzug, der in der Lunge brennt, verschwindet vermutlich  ein wesentlicher Teil des Allwissens, falls es je da war. Es ist nicht im eigentlichen Sinn verloren, jedoch verborgen unter dem langen Prozess des Ankommens in der Welt.

» Ein halbes Jahr alt warst du, als wir dich ein paar Monate zu Oma Beck gebracht haben«.
Das hatte meine Mutter mir eher beiläufig erzählt.
Die Oma wohnte hundert Kilometer entfernt.
Monatelang kein Kontakt zu den Eltern, getrennt sein vom beruhigenden Herzschlag der Mutter, von den vertrauten Stimmen, ist eine Belastung für ein Baby, selbst wenn die Oma es liebt.
Aus welchem Grund wird ein so kleines Kind für längere Zeit zur Großmutter gegeben, die es kaum kennt?
Gedanken und Fragen, die mir heute in den Sinn kommen. Damals, als meine Mutter darüber sprach, nahm ich es jedoch hin wie den Wetterbericht am Ende der Fernsehnachrichten.
Schweigend und ungerührt, statt erschrocken nach Gründen zu fragen.
Was war los mit mir? Wie konnte es sein, dass diese Geschichte nichts in mir auslöste?
Gefühlsstarrkrampf?
Lag es an der Art, wie meine Mutter darüber sprach?
Es schien für sie keine große Sache zu sein, im Grunde nicht weiter erwähnenswert.
Das Wissen um diesen Teil meiner Vergangenheit und um die Umstände, die dazu führten, ist mit dem Tod meiner Eltern verschwunden.
Ich reimte mir holprige Erklärungen zusammen, die sich in meinem Kopf zu Tatsachen verdichteten, Mama musste wahrscheinlich Geld verdienen, weil Vaters Gehalt nicht reichte. Oder, und das war erschreckender, bestimmt hatte ich zu viel geschrien und meine Mutter war total überfordert gewesen von mir.

An dieser Stelle leuchtet flammend rot die erste Regel auf für das Leben mit und das sich einrichten im Trauma:

„Nimm alle Schuld auf dich, hinterfrage dich selbst, zweifle dich und deine Wahrnehmung an. Weiche auf keinen Fall von deinem Selbstzweifel ab, auch dann nicht, wenn er dich verzagt und unglücklich sein lässt. Und vergiss nicht, du kannst niemals gut genug sein.“
 
Was zu Regel Nummer zwei führt:
Stelle unbedingt in Frage, dass du als Bewohner das schwarzen Lochs ein Recht auf Glück haben könntest. Unbedingt.“

Wenn du lange und eng mit deinem Trauma verbunden bleiben willst, wenn du immer wieder aufs Neue in die Finsternis fallen möchtest, dann halte dich an diese Regeln sowie an alle weiteren, die noch folgen könnten. Im Idealfall erweiterst du das Regelwerk noch um eigene, auf dich persönlich zugeschnittene Lehrsätze.

Wie auch immer. Mein Lieblingsmensch kehrte nach einem Monat zurück. Ich robbte mühsam aus meinem Loch, im Gepäck das Trauma-Tier. Klein, schwarz, struppig, blieb es unbewegt, ohne mich weiter zu bedrängen.
Dachte ich.
 
(c) gabriele auth 9/2021


Foto/Mylene2401 on Pixabay

Traumatage 2

T, der wichtigste Mensch in meinem Leben begann zu verblassen wie ein altes Foto. Es schien plötzlich zu kommen, in Wahrheit hatte es sich langsam mit raubkatzenleisen Bewegungen angeschlichen. Mir kam es vor, als versänken Teile seines Wesens hinter einer körperlosen Rauchglasscheibe, noch schemenhaft wahrzunehmen, doch nicht mehr erreichbar.
Wir lebten unser Leben weiter wie vorher, standen oft spät auf, frühstückten ausgiebig, chillten, besuchten Konzerte, gönnten uns Kinoabende, trafen Freunde und die Familie. Zusammen mit einer Singer-Songwriter Freundin veranstaltete ich eine Lesung, zu der T mich begleitete und fotografierte. In manchen Momenten schien es also fast so ausgefüllt wie immer. Und heute, nach monatelangem „Corona lock down – lock up“, denke ich mit Wehmut daran. Ja, es war trotz allem eine glückliche Zeit. Was uns jedoch im Hintergrund begleitete, war diese verdammte Rauchglasscheibe, ein haarfeiner Knacks im Leben. Und in meinen Nacken krallte sich immer drohender das Wissen, dass mein Lieblingsmensch sehr real für einige Wochen fort sein würde. Das ließ sich nicht abschütteln. Eine Art Gewittergrollen der Seele, zuerst noch weit entfernt, rückte es unaufhaltsam näher.
Klar, der Ausstieg aus dem gewohnten Alltag war unvermeidbar und würde T gut tun, dennoch blieb da die Angst.

Was ich nicht erkannte, die kommenden Wochen sollten auch für mich selber notwendig sein.

Seit mehr als zwanzig Jahren nie länger als eine Woche getrennt.
Kaum vorstellbar, aber es hatte sich nicht ergeben.
Haben wir es unbewusst vermieden?
Jetzt fühlte ich mich brüchig angesichts der bevorstehenden Zeit des Alleinseins.

 
All-Eins-Sein.

Wie wunderbar hatte das für mich früher geklungen. Davon schien plötzlich nichts mehr übrig zu sein. Der Klang des vertrauten Mantras aus meditativen Momenten brachte keinen  Trost. Obwohl ich glaubte, dieses unfassbare Gefühl in flüchtigen Augenblicken bereits gespürt zu haben, blieb der Gedanke daran nun eine leere Seite.
War es das nicht sowieso?
Leere in der Fülle – Fülle in der Leere – eine Einheit?
Nicht mehr wahrnehmbar, wo sich ein struppiges schwarzes Trauma-Tier ins Wesen frisst. Während ich dies hier schreibe, höre ich die aktuelle CD von Luise Weidehaas, fast die einzige Musik, die ich außer Rembetiko beim Schreiben hören kann.
                  „Kein Ort nirgends – das Gegenteil von Einsamkeit
                   Nichts und niemand – das Gegenteil von allein sein

                   singt sie.

„Passt“, sage ich und summe die Melodie mit.

https://www.youtube.com/watch?v=SEzFGUISL0E


Foto/ cocoparisienne on Pixabay

Der Held meiner Kindheit

Vorab:
Dieser Text ist bereits veröffentlicht in meiner Textsammlung: „Mensch lernt von Mensch“,
erschienen im Masou Verlag und leider nicht mehr lieferbar.
Er scheint mir gut zu passen zum letzten Teil von „Traumatage 1“
und zu einer Diskussion, die dazu auf Facebook stattfand. 
Betrachtet es als kleines Zwischenspiel, bevor es mit den „Trauma Tagen“ weiter geht.

Es gibt Familien, in denen man sich kirchlich trauen lässt, in die Christmette geht, den Pfarrer freundlich grüßt und ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein lässt, mit dem man keinen näheren Kontakt pflegt. In solch ein Elternhaus wurde ich hineingeboren.

Vater Protestant, Mutter Katholikin, eine Mischehe galt in der Kleinstadt, in der sie lebten als  Revolution.
Sie heirateten trotzdem, bekamen übers Jahr ein Kind und zogen in die Großstadt. Der Umzug hatte auf mich, als gewissermaßen gemischter Nachkomme, die Auswirkung, dass nach der katholischen Taufe die Themen Gott und Religion zunächst abgeschlossen waren. Meine Mutter hatte gelernt, man müsse zum Beten in der Kirche auf einer Holzbank knien. Mit nüchternem Magen.
Mein Vater schwor darauf, man könne Zuhause im Sessel beten oder es gleich ganz lassen.  Klugerweise mieden beide das Thema Glauben und brachten zunächst das Thema Welt miteinander in Einklang. Mein Vater hatte sich allerdings bei der Vorbesprechung zu meiner Taufe verpflichtet, seiner Frau in der Religionserziehung zur Seite zu stehen. Ich selber konnte mich mangels Verständigungsmöglichkeiten nicht äußern und mein Schreien angesichts des Taufbeckens wurde nicht als Protest ausgelegt.

Sechs Jahre nach meiner Zwangsaufnahme in die katholische Kirche, erinnerte mein Vater sich an sein Versprechen und begann, jedes Jahr am Heiligen Abend, die Weihnachtsgeschichte vorzulesen, worauf am Karfreitag die Passionsgeschichte folgte. Ich lauschte mit offenem Mund, begierigen Ohren und voll Mitgefühl für Maria und Josef, denen niemand eine Wohnung geben wollte, obwohl Maria schwanger war. Mir schien es zwar ungerecht, dass das Jesusbaby in einem Stall auf dem Stroh liegen musste, sonderlich beunruhigt war ich jedoch nicht. Schließlich war es warm im Stall und die glücklichen Eltern kümmerten sich liebevoll um den Kleinen, der umringt war von wunderschönen Engeln und freundlichen Hirten. Sogar drei  Könige brachten dem Baby Geschenke. Den neidischen Herodes erwähnte mein Vater nie, was gut war, weil mich die Geschichte mit den erschlagenen Kindern womöglich doch beunruhigt hätte. Mit dem Besuch der Heiligen drei Könige endete also jedes Jahr meine Weihnachtsgeschichte. Wir sangen dann immer noch Stille Nacht, Heilige Nacht und Süßer die Glocken nie klingen.
Das war schön, weil wir so inbrünstige Stimmen hatten und weil es danach endlich Geschenke gab. Weihnachten war eindeutig ein schönes Fest, fand ich.

Der Karfreitag erwies sich dagegen als härteres Kaliber. Es fing schon beim Frühstück an. Meine Mutter liebte Wurst und Fleisch, doch am Karfreitag verzichtete sie strikt darauf. „Weil da unser Jesus gestorben ist“ sagte sie. Mittags gab es dann Backfisch mit Kartoffeln, Senfsoße und Kopfsalat. Ich weigerte mich, den Fisch zu essen. Er hatte diese fiesen Gräten, von denen mir mal eine fast im Hals stecken geblieben war.
Nach dem Mittagessen las mein Vater dann  die Passionsgeschichte vor und sang zum Abschluss Oh Haupt voll Blut und Wunden, die Karfreitagshymne der evangelischen Kirche. Das Ergebnis war stets dasselbe. Ich heulte.
Mein Held aus der Bilderbibel meiner protestantischen Oma, wo er eingerahmt von fröhlichen Kindern zu sehen war und so schöne Gewänder trug, war wieder einmal unter entsetzlichen Umständen ums Leben gekommen. Dabei hatte er für seine Mörder noch ein Lächeln und eine Entschuldigung parat gehabt. Sie wussten seiner Meinung nach nicht, was sie taten. Ich konnte ihm nicht zustimmen und hielt das Ganze für eine schreiende Ungerechtigkeit.
Wenn Oma mit mir die Bilderbibel ansah, betonte sie oft, dass mein Held einmal gesagt hatte Lasset die Kinder zu mir kommen. Ich liebte diesen Satz und stellte mir vor, dass ich selber, neben all den glücklichen Kindern auf dem Bild, bei diesem bärtigen, langhaarigen Mann säße. Ich wollte unbedingt eines jener Kinder sein, die zu ihm kamen. Leider machte das alljährlich wiederkehrende Karfreitagsritual mir einen Strich durch die Rechnung.

Wie sollte ich mich einem toten Helden anschließen?

Eines war unmissverständlich klar, um mich brauchten sich die christlichen  Kirchen nicht mehr bemühen, vermittelten sie mir doch einhellig die Botschaft, dass mein Held gestorben sei, um uns Menschen von unseren Sünden reinzuwaschen. Ich fand, für meine eigenen Sünden lohnte sich der Aufwand nicht und die Verbrecher des Naziregimes und andere Mörder sollten gefälligst selbst zur Verantwortung gezogen werden, statt sich durch meinen unschuldigen Helden reinwaschen zu lassen. Nichtsdestotrotz ging ich zur Konfirmation.  Auf das katholische Gegenstück, die Kommunion, hatte ich verzichten müssen, weil  meine Eltern sich mit mir aus dem Einflussbereich des katholischen Familienclans entfernt hatten. Ich war darüber nicht böse . Nach einigen Stunden im Kommunionsunterricht, hatte sich ein ungemütliches Flattern in der Magengegend eingenistet bei dem Gedanken, dem Priester alle meine Sünden erzählen zu müssen. Der Ortswechsel war die Rettung gewesen.
Die Möglichkeit, zur Konfirmation beschenkt zu werden, wollte ich mir jedoch nicht nehmen lassen, zumal ich in einem atemberaubend kurzen, schwarzen Kleid erscheinen durfte und wunderbar dünne Nylonstrumpfhosen trug.
Nach der Konfirmation trieb es mich noch einige Zeit ins kirchliche Jugendhaus, wo ich mit Pfarrern und Sozialarbeitern über die Ungerechtigkeit der Welt, des Krieges und über andere brennende Themen debattierte, die alle in der Frage mündeten: „Warum lässt Euer Gott das zu?“ Man bot mir wortreiche Antworten, die meinen unruhigen Geist nicht zufrieden stellten. Es gab da so ein Lied, das in der Disco des Jugendhauses gespielt wurde und gleich nach Lady in black mein Favorit beim Klammerblues war.
Desiderata: You are a child of the universe and not less than the trees and the stars, you have a right to be here.
Das war die Philosophie, die meine Zustimmung fand. Ich war wie alle  Menschen ein Kind des Universums. Wir hatten ein Recht, hier zu sein. Wieso also brachten sich einige von uns gegenseitig um? Und wieso achteten nicht alle gemeinsam darauf, dass jeder genug zu essen hatte?
Mit vierzehn scheinen die Lösungen mancher Weltfragen noch unkompliziert.

Ich wandte mich bald ganz von den Kirchen ab, erkannte ich doch in ihnen Komplizen des Mordes an meinem Kindheitshelden. Ich verzieh ihnen, aber ich vergaß nie, dass sie in reißerischer Manier die grausamen Details regelrecht zu feiern schienen. Überall hingen Abbildungen eines gekreuzigten, halbnackten Mannes, blutend mit verhärmten Gesichtszügen. Natürlich sprachen sie auch von der Auferstehung. Bilder, die das dokumentierten, begegneten mir jedoch selten. Und wenn, dann zeigten sie meinen Helden in ein grelles Licht getaucht. Sehr weit von mir entfernt. Unerreichbar entrückt in himmlische Sphären.

Ich glaubte nie so recht an seinen Tod, doch es gelang mir auch nicht, das Gegenteil zu beweisen. Sicher war nur, dass der Held meiner Kindheit niemals weit von mir entfernt sein konnte. Ich spürte, er war ganz nah, hatte aber keine Ahnung wo, was ihn fast genauso unerreichbar werden ließ, als wäre er tatsächlich in jenen überirdischen Sphären verschwunden. So verschloss ich die Erinnerung an ihn in  einem sicheren Winkel meines Wesens und entschied, dass die Priester keine Ahnung hatten.
Er hat Recht, dachte ich, sie wissen wirklich  nicht, was sie tun.
Vermutlich hatte er ihnen ein Schnippchen geschlagen und war weder tot, noch in makellose Himmelswelten aufgestiegen.  Womöglich würde ich ihn eines Tages völlig unvermittelt irgendwo entdecken, wo ich ihn nie vermutet hätte.

Meine neuen Helden hießen nicht mehr Jesus, sondern Jim, Jimmi Hendrix, Jim Morrison, Jimmy Page, oder trugen ähnlich lautende Namen angloamerikanischen Ursprungs. Sie reichten nicht an mein altes Idol heran, aber sie lebten.

Die Jahre vergingen.

Schließlich las ich eines Tages in einem Buch die Aufforderung, Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden nicht an Gott glauben.

– Eine faszinierende Idee –

Ich glaubte trotz allem, was dagegen sprach, an das Wirken einer ursubstanziellen, göttlichen Instanz im Universum. Ich glaubte an einen ewigen, unzerstörbaren, göttlichen Urgrund und Impuls des Seins und des unendlichen Werdens. Ich hatte mir noch nie vorgestellt, nicht daran zu glauben. Diese Aufforderung zum Rollenwechsel gefiel mir. Ich ließ mich auf die Idee ein. Versuchte intensiv, mir vorzustellen, dass ich nicht an ein Sein glaube, das im Göttlichen ruht.
Ich forschte den Gedanken derer nach, die nicht daran glauben. Bemühte mich, das Leben als Ergebnis eines Urknalls zu sehen. Einer Evolution der Materie. Eines Zusammenwirkens rein physikalischer und chemischer Gesetzmäßigkeiten. Ich stellte mir vor, wir wären nichts weiter als ein Haufen von Atomen, Molekülen, Zellen und Organen, die einen gewissen, im Grunde recht kurzen Zeitraum zusammenhalten, um schließlich wieder auseinander zu fallen. Nahrung füreinander zu sein wäre der einzige, der finale Sinn allen Lebens. Also sollten wir feiern und nehmen, was wir kriegen können, zur Not auf Kosten anderer. Ja, so könnte es möglicherweise sein, dachte ich. Es waren durchaus logische Ideen, denen ich mich jedoch trotz aller Bereitschaft zum Rollenwechsel nicht anschließen konnte. Es gelang mir nicht eine Sekunde, mir ernsthaft vorzustellen, dass ich nicht an Gott glaube.
Ich fahndete nach der Ursache.
Irgendwo in mir hatte eine leise Stimme mit freundlichem Spott gesagt: „Es ist völlig unbedeutend, ob ihr behauptet, dass es keinen Gott gibt. Es ist nicht wichtig, ob ihr an ihn glaubt. Und wenn ihr glaubt, dann spielt es keine Rolle, wie ihr ihn euch vorstellt. Nennt es Gott, nennt es Universum, nennt es Buddha, Allah, Jehova oder Urknall. Betet es an auf harten Kirchenbänken, oder feiert euren Atheismus an den Forschungsstätten eurer Zivilisation. Ob ihr es anbetet, es leugnet oder es verflucht, ist völlig nebensächlich für den ewigen Kreislauf, in den ihr eingebunden seid. Ihr könnt das Ewige in euch einmauern, es zur Seite schieben, es mit Füßen treten und darüber lachen. Aber eines könnt ihr nicht tun. Ihr könnt es nicht daran hindern, an euch zu glauben“.
Ich ließ die Stimme mit geschlossenen Augen in mir nachhallen. Das klang  entschieden nach dem Held meiner Kindertage. Sollte er mich gefunden haben?
Ich beschloss, in Zukunft nach seiner Stimme zu lauschen.
Möglicherweise hält sie wichtige Hinweise für mich bereit.

Ich denke, er hat die Kirchen ganz schön angeschmiert.

Cover-Kurzgeschichten1 (2)

Auf dem Wasser laufen – Plauderei mit meinem Kater

Das Frühstück ist vorbei. Wir sitzen satt und zufrieden am Tisch, mein Kater und ich. Wir plaudern noch ein bisschen, unser  geschätztes Morgenritual, Essen, trinken, reden. Heute geht es um „social distancing“ und all diese Corona Dinge.
„Gabo“, sagt er zu mir, das ist sein Name für mich, wobei er das O etwas in die Länge zieht wie ein „Meow“.  „Gabo, denkst du, dass Europa und Amerika getrennt sind, weil das Meer sie unterbricht?“
Ich lache, ich weiß, er hat aus meinem Roman zitiert.
„Baston“, antworte ich, „du Schlitzohr, als ob du nicht  genau wüsstest, was ich denke. Die Kontinente bleiben tief unten unter dem Meeresspiegel verbunden. Wir empfinden die Trennung nur weil wir nicht auf dem Wasser laufen können“, führe ich das Zitat fort.
„Eben“, sagt mein Kater und maunzt belustigt. „So ähnlich ist es auch mit der sozialen Distanz. Wo Herzen und Seelen sich in der Tiefe berühren, gibt es keine Trennung.“
Er sieht mich an. Seine großen, grünen Augen haben diesen katzentypischen geheimnisvollen Schimmer. Während wir schweigen, denke ich, er hat wie meistens recht. Unvermittelt spüre ich die Nähe und Wärme der Herzen, mit denen meines verbunden ist. Ich atme tief und zufrieden ein. Baston legt den Kopf auf die getigerten Pfoten, schließt die Augen und schnurrt. Er ist eben ein weiser alter Kater.

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Kampf

Manchmal ist das Leben
ein rotes Tuch und du
ein verwundeter Stier
kämpfst doch weißt nicht
ist es je genug oder wirst du
am Ende verlieren

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Sterne

leichtsinnig fließt
mein Leben und
ich laufe mit
pflücke Sterne
am Wegesrand
einen für jeden
Augenblick
manche erlöschen
ich trage sie
zum Sternenfriedhof
lasse sie fliegen
schau ihnen nach
andere erleuchten
mir die Nacht
stehen hauchzart
dem Tag zur Seite
wo Sonnenlicht
den Himmel öffnet
für eine neue Ewigkeit.

(c) Gabriele Auth

moonlight-3061068_1280Foto/cocoparisienne on Pixabay

Mein Kater und ich

Manchmal wünschte ich, ich wär mein Kater. Der denkt nicht nach, er lebt und liebt, wie es sich grad ergibt; ganz ohne Stress und Menschentheater. Er hadert nicht mit sich und  zweifelt nie, soll er die Maus nun fangen oder lieber nicht. Wird er gekrault, dann schnurrt er laut und faucht dir böse ins Gesicht, wenn Streicheln grad nicht seiner Vorstellung von schön entspricht. Faucht und rollt sich dann zusammen, ohne  zu fragen, ob er dich erschreckt hat, ob du ihn nun verachtest, vielleicht sogar verstößt. Schmiegt sich zufrieden auf das Sofa, die Pfoten hoch, den weichen Bauch entblößt. Er seufzt im Schlaf. Ich seh‘ ihm zu und frag mich ob er träumt. Leg‘ mich zu ihm, schließe die Augen, lausch‘ dem Schnurrgebrummse, träume mit.

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