Okay, es machte mir Angst, dass ich für einige Zeit alleine sein würde, aber ich war entschlossen, diese Zeit, die so bedrohlich auf mich zukam mit Löwenstärke und Gelassenheit zu bezwingen.
Höre ich da ein Lachen?
Schüttelst du verständnislos den Kopf, weil das für dich kein Problem wäre?
Womöglich war der wichtigste Mensch deines Lebens schon oft längere Zeit von dir getrennt, und du warst glücklich über die Momente für dich und mit dir alleine.
Glaub mir, du hast meine uneingeschränkte Bewunderung.
Ich hingegen verstrickte mich in Dialoge mit meiner Beklommenheit, beteuerte, dass T nicht weg sein würde, sondern nur einige Zeit woanders. Vier Wochen, die bedeutsam wären für ihn. Für sein inneres Gleichgewicht. Für alles.
VIER.
Nicht Tage.
Verdammte Wochen!
Lach mich meinetwegen aus, aber je näher der Abreisetermin rückte, umso mulmiger wurde mir. Die Gespräche mit meiner Angst gestalteten sich immer lebhafter. Keine Chance, meine Mitte zu finden, wie sehr ich es auch versuchte.
Gelassen bleiben.
Positiv denken.
– AUM –
Meine Güte, ich hatte keinen Schimmer, wie grandios ich an dieser Gelassenheits-Challenge scheitern sollte.
T schrieb Koffer-Listen, stockte seinen Klamotten Fundus auf und war schließlich bereit zum Aufbruch.
Dann.
Einige Tage vor seiner Abreise.
Ich stand in unserem Schlafzimmer.
Das Bett, schien mich anzustarren.
Ich starrte zurück.
Das Ding kam mir auf einmal riesig vor.
Wie sollte ich es aushalten, darin vier Wochen alleine zu schlafen?
Vielleicht sogar sechs Wochen
oder Acht?
Offensichtlich beherrschte ich meine „Anleitung zum Unglücklichsein“, denn der Gedanke kletterte wie eine dunkle Ranke in jeden Winkel meines Verstandes bis ein unbändiges Gefühl von Verlassenheit alles andere blockierte.
So passierte es.
Übergangslos.
Mein Brustkorb zog sich zusammen.
Schmerzhaft.
Enger und enger.
Der Bauch vibrierte.
Die Beine kribbelten als wollten sie rennen.
Nichts ging mehr.
Ich stürzte in die Hölle.
Wer dabei an Flammen und Hitze denkt, ist auf dem Holzweg. Es war vielmehr ein Versinken in Finsternis. Diese Hölle war dunkel und kalt. Da lag ich, ein einsames kleines Irgendwas in einem gigantischen schwarzen Loch ohne Anfang und Ende.
Selbstverloren.
Im Klammergriff der dunklen Schwester des All Eins Seins.
Ein befremdlich verzweifeltes Geräusch erfüllte den Raum, eine Art ersticktes Schreien.
Als ich dem Klang nachforschte und die Augen öffnete, fand ich mich in Embryonalhaltung mich selbst umarmend auf dem Bett wieder. Schluchzend in der Überzeugung: Ich bin verlassen. Niemand weit und breit, der für mich da ist.
N i e m a n d!
T hatte mich gehört, kam ins Zimmer, legte sich zu mir, streichelte meinen Rücken, tröstete mich. Erreichte mich nicht.
In der Hölle gibt es keinen Trost.
Es war wie in diesem Film mit Robin Williams „Hinter dem Horizont“.
Ich wurde zu der Frau aus dem Film, die mit dem Gesicht zur Wand in einem verfallenen, düsteren Haus sitzt. Sie trauert um ihren Mann. Der steht hinter ihr in der geöffneten Tür. Er will sie hinausführen in die Sonne.
Sie nimmt ihn nicht wahr. Sie nimmt ihn verdammtnochmal nicht wahr.
Ja, ich klinge womöglich wie eine erstklassige Drama Queen, doch da war dieser erschreckend reale Schmerz, der sich nicht besänftigen ließ.
„Es ist nicht real“ flüsterte das Herz.
„Es tut doch weh“ schrie der Verstand.
„Es. Ist. Nicht. Real.“
„Wenn es aber doch weh tut?
Keine Chance.
Ist es nicht verrückt, wie die eigenen verdrängten Dämonen einen Menschen im Griff halten können?
T fuhr weg.
Heute ist mir bewusst, ich hatte ein Trauma Flashback, das zu der Zeit nicht aufzulösen war und seinen Platz in meinem Körper fand.
Mit meiner jüngeren Tochter sprach ich über das Erlebte. Ich saß auf ihrer Couch, redete gegen die Erinnerung an, als eine beklemmende Kälte aus meiner Brust in Arme und Beine kroch und sich zu einem kühlen Flirren steigerte, das sich überall in mir ausbreitete.
Unvermittelt stellte sich ein Gefühl von Zerschlagenheit ein, so eine Energielosigkeit, als hätte ich nächtelang nicht geschlafen und dabei zu viel geraucht.
Ich schlang die Arme um die Brust. Zitterte.
„Soll ich dir meine Wolfsdecke geben?“, fragte meine Tochter. Ihre Stimme klang ein wenig verunsichert.
„Mir ist auf einmal so kalt und so müde“, antwortete ich. Jedes Wort schien an den Rändern zu zerfasern.
Sie ging in ihr Schlafzimmer, kam mit einer großen, schwarz-grauen Plüschdecke zurück, legte sie mir um.
„Ich muss unbedingt noch was einkaufen“, sagte sie „ist das okay?
Vielleicht ja ganz gut, wenn du kurz für dich bist. Oder?
Die Wolfsdecke ist auf jeden Fall eine starke Medizin, wenn es einem so schlecht geht.“
Ich nickte. Vielleicht hatte sie recht. Falls nicht, schlimmer konnte es im Moment kaum werden. Oder? Hmm.
„Ist das wirklich für dich okay?“
Ein farbloses „Ja“ huschte über meine Lippen, während ich mich auf der Couch zusammenrollte in meinem plüschigen Kokon. Die Decke war wunderbar schwer, fühlte sich an wie eine freundliche Umarmung. Ich merkte kaum noch, wie mir die Augen zufielen und sank tiefer in die sanfte Wärme.
Eine Wolfsdecke kann definitiv eine wirkungsvolle Medizin sein, vor allem, wenn sie von der eigenen Tochter kommt.
Also ja, ich überstand die vier Wochen irgendwie, pendelte hin und her zwischen Leute besuchen und Binge-Watching. An dieser Stelle ist die Serie „Dr. Who“ sehr zu empfehlen für In-die-Finsternis-gefallene, oder auch „Downtown Abbey“ für die, die es etwas nostalgischer brauchen. Was auch immer. Es muss nur genug Staffeln geben für vier bis sechs Wochen.
Nachts lag der Kater neben mir im Bett. Sein Schnurren vermittelte das Gefühl, alles sei in bester Ordnung, was es im Grunde auch war. Nur, dass ich meinen Lieblingsmenschen vermisste.
Wir telefonierten, schrieben uns bei WhatsApp und schickten Fotos. Hätten wir die Kommunikation reduzieren sollen? Intensiver die jeweils eigene Situation erleben und gestalten müssen?
Wir taten es nicht, und das war, wenn auch nicht ideal, so doch okay.
(c) Gabriele Auth
