Er betritt die Bühne mit der Gitarre in der Hand, ein schlanker, junger Mann mit blonden, verwuschelten Locken, die spinnwebfein sein Gesicht umrahmen.
„Hello, I am happy to be back in Münster again“, sagt er und fragt, wie viele von den Anwesenden ihn schon bei seinem ersten Auftritt hier gesehen haben. Arme gehen in die Höhe. Moddi, wie er sich selber nennt, zählt laut. Es sind achtundzwanzig.
„You may ask, what happend to your favorite barefoot Hobbit“ sagt er dann. Seine blauen Augen glänzen, als er lächelnd ins Publikum sieht und auf seine Füße zeigt.
„Was mag passiert sein, dass ich nun Schuhe trage?“
Er wirkt tatsächlich wie eine Erscheinung aus Herr der Ringe, eine Mischung aus Hobbit und Elb in Jeans mit roten Baseballschuhen, grauem T-Shirt und einer Gitarre.
Man merkt es sicher, dieser junge Norweger hat bereits in den ersten Minuten mein Herz erobert. Dabei habe ich noch keinen Ton von seiner Musik gehört, bin beinahe zufällig durch die Einladung eines Freundes hier im Pumpenhaus Münster gelandet. Jetzt stimmt Moddi das erste Lied an, singt vom Krieg und davon, dass das Töten für einen Soldaten zur Gewohnheit werden kann.
Schweigen. Dann Applaus.
Und Pal Moddi Knudsen erzählt, wie er, der sonst Lieder vom Meer und von der Liebe singt, dazu kam, auf der Bühne Schuhe zu tragen und Protestsongs zu singen.
Wie er zu einem Konzert in Tel Aviv eingeladen war und E-Mails aus ganz Europa bei ihm eintrafen, geschrieben von Menschen, die sich solidarisch erklärten mit dem palästinensischen Volk. Sie alle forderten, er solle den Auftritt in Tel Aviv absagen als ein politisches Statement für Palästina.
Moddi antwortete hunderte von Malen, er sei kein politischer Sänger, er singe Lieder vom Meer und von der Liebe.
Im gleichen Zeitraum sammelten sich in seinem E-Mail Postfach weitere hunderte von Mails, verfasst von Israelis und ihren Freunden aus aller Welt. Sie schrieben, wie wunderbar es doch sei, dass er mit seinem Auftritt in Tel Aviv ein Statement abgäbe für die Sache Israels.
Er antwortete erneut hunderte von Malen, seine Lieder seien kein politisches Statement, er sei einfach ein Sänger.
Die Flut der E-Mails aus beiden Richtungen riss nicht ab.
Moddi war traurig und bestürzt und sagte das Konzert ab. Er wollte sich von keiner Seite instrumentalisieren lassen.
In dieser Stimmung erreichte ihn eine Nachricht von Brigitte Grimstad, einer in Norwegen sehr bekannten und gefeierten Sängerin. Sie blickt auf eine ähnliche Erfahrung zurück. In den achtziger Jahren hatte sie einen Text des britischen Autors Richard Burgess vertont. Das Lied handelte von dem israelischen Brigade Kommandeur Eli Geva, der sich 1982 dem Befehl, in Beirut einzumarschieren, widersetzte und stattdessen seinen Abschied nahm.
Als bekannt wurde, dass Brigitte Grimstad im Rahmen einer Tournee in Jerusalem auftreten sollte, wurde sie im Vorfeld von verschiedenen Seiten aufgefordert, den Song über Eli Geva dort nicht zu singen. Der norwegische Botschafter in Jerusalem teilte ihr mit, er verließe mit seinen Begleitern geschlossen den Saal, sollte sie das Lied singen. Brigitte Grimstad sagte das Konzert ab.
Pal Moddi Knudsen dachte nach. Er fragte sich, wie viele Lieder es gibt, die offiziell oder inoffiziell geächtet und verboten sind, machte sich auf die Suche und wurde fündig.
Das bisherige Ergebnis stellt er bei seiner aktuellen Tournee vor. Sein neues Album, auf dem er zwölf dieser Lieder eingespielt hat, heisst Unsongs.
Er hat die Ursprungsländer dieser Lieder bereist, sprach mit deren Verfassern, Zeitzeugen oder Nachkommen. Die Gespräche wurden in Videos dokumentiert und sind zu finden auf der Projektseite unsongs.com
Nachdem Moddi dies alles erzählt hatte, sang er die ungesungenen Lieder, begleitet von seiner Gitarre und einer jungen Cellistin.
Das Publikum war mehr als zwei Stunden elektrisiert.
Ich höre seitdem immer wieder die Unsongs und bin dankbar für einen Musiker, für einen Menschen wie Pal Moddi Knudsen, der so aufrichtig, so wahrhaftig und bezaubernd auf einer Bühne steht und mit seiner Musik geächteten Songwritern und deren Songs ein Denkmal setzt, indem er ihre Geschichten erzählt und ihre Lieder so singt, dass man das Leben in ihnen spüren kann. Sie berühren mich alle, doch am meisten das Punk Gebet von Pussy Riot. Aber davon erzähle ich ein anderes Mal.
https://finbarsgift.wordpress.com/2014/12/09/cold-blows-the-wind-to-me-moddi/
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Ja, danke, ich kenne das Textvideo, aber das andere ist genau wie bei dem Auftritt in Münster, mit derselben Cellistin. 🙂
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ach, aber jetzt sehe ich, dass Du das Video letztes Jahr in deinem Blog gepostet hattest. Da hätte ich Moddi ja glatt schon früher entdecken können. Hast Du ihn auch live gesehen? Ein Erlebnis.
Lieben herzlichen Gruß
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