Er braucht definitiv Platz.
Also mehr Platz. Ich habe den kleinen Karton, in dem sein Nest war, gegen einen größeren ausgetauscht. Suboptimal. Er braucht auch Raum in die Höhe. Vögel bewegen sich nun mal in dieser Dimension intensiver als Menschen, also, wenn man Flugzeuge außen vor lässt.
Zum Glück kann ich nachmittags den Vogelkäfig abholen.
Ich finde, dass Käfig in diesem Fall ein scheußliches Wort ist , eigentlich in jedem Fall. Ich mag nicht, wenn jemand auf der Fensterbank so ein Ding stehen hat mit einem Sittich oder Kanarienvogel. Ich mag es selbst dann nicht, wenn das Vögelchen in der Wohnung fliegen kann. Ich meine, wer möchte schon in einem riesigen Gebäude leben, in dem man stundenlang durch die Räume laufen kann, ohne jemals diesen Moment zu erleben, in dem der Himmel über dir einfach frei ist? Grenzenlos frei. Wo der Weg sich in der Ferne verliert zwischen Bäumen und Wiesen.
Zugegeben, in so einem Großstadtleben verliert sich der Weg selten am Horizont, eher an der nächsten großen Kreuzung im Rattern der Straßenbahn. Und der Himmel ist ein grauweißer Fleck hoch oben zwischen den Häusern. Aber trotz allem schmeckt die Luft ein bißchen nach Freiheit und man könnte laufen, raus aus der Stadt, bis der Weg sich endlich doch am Horizont verliert. Stunden. Tage. Jahre.
Wie auch immer, ich hole den verdammten Käfig und beschließe, ihn Vogelhaus zu nennen. Die Frau, die ihn mir verkauft, erzählt, dass sie ihn irgendwann für denselben Zweck angeschafft hat wie ich.
„Unser Vögelchen ist nicht durchgekommen“, sagt sie, „und nu steht das Ding seit Jahren im Keller.“
„Mhm, ja“, ich nicke. Ich will das eigentlich nicht wissen. Ich bezahle, bedanke mich bei der Frau und fahre mit meinem Vogelhaus nach Hause.
Als ich den Piepmatz hineinsetze, erkläre ich ihm, dass es nur für den Übergang ist, nur, damit er mehr Bewegungsfreiheit hat.
„Nächste Woche wirst du fliegen, Federling. Stell dir vor, ich hab deine Geschwister draußen gesehen. Die flattern schon richtig, aber sie müssen noch Futter picken lernen, genau wie du, damit ihr nicht mehr gefüttert werden müsst.“
Er scheint zuzuhören, tschilpt und verputzt eine Portion Vogelbabybrei. Ich räume die Küche auf, die langsam im Chaos zu versinken droht. Der Piepmatz sieht mir dabei zu. Sein Haus steht auf dem Kühlschrank, nur abends werde ich ihn, wie vorher den Karton, katzensicher ins Badezimmer bringen. Als ich fertig bin und die Küche fast Meister-Propper-mäßig glänzt, sitzt der Federling auf der Stange im Vogelhaus und sieht mich an, mit so einem Spatzensuperheldenblick. Dann spreizt er die Flügel. Ich finde, er sieht verdammt lässig aus, so hoch oben über dem Heu. Ein plustriger, grau gefiederter Vogel, der sich zum ersten Mal aus seinem Nest in die Höhe bewegt hat.
Ich staune. So ein Vogelkäfig hat auch seine guten Seiten.
